Krank zur Arbeit: Laut der aktuellen Studie „Arbeiten 2022“ der pronova BKK arbeiten mehr als Dreiviertel der Beschäf­tigten trotz Krank­heit weiter. Nur 28 Prozent der Deutschen bleiben bei Krankheit konsequent zuhause und arbeiten nicht – auch nicht im Homeoffice. Dabei erscheinen die unter 30-Jährigen häufiger als im Bevölkerungsschnitt krank zur Arbeit. 

Fair enough, das sind „bloß“ statistische Ergebnisse und Ableitungen aus einer Studie, für die rund 1.200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab 18 Jahren befragt wurden. Aus eigener Erfahrung und auch aus den Erzählungen meines Umfelds würde ich diesen Aussagen allerdings zu einhundert Prozent zustimmen.

Krank zur Arbeit als Teil der “Firmenkultur”

Krank am Arbeitsplatz zu erscheinen, ist in vielen Unternehmen keine Seltenheit. Bei einem ehemaligen Arbeitgeber von mir war es durchaus üblich, auch mit Erkältungssymptomen im Büro zu sitzen. Trotz Schüttelfrost, Schnupfen und Fieber sind die Geschäftsführer*innen mit einer dicken Packung Ibu ausgestattet im Büro erschienen und haben somit ein (falsches) Exempel statuiert – und das nicht nur ein Mal. Die Folgen davon? – Dieses Verhalten wurde Teil der Firmenkultur und viele der Mitarbeitenden haben es ebenso gemacht. Und auch ich hab’s getan und mich teilweise krank ins Büro geschleppt. Verrückt eigentlich: Bevor wir ausfallen, werfen wir uns lieber was ein. Was ist das denn für eine falsche Logik und wirklich kranke Handlungsweise? Im Japanischen gibt es den Begriff “Karoshi,” was so viel wie “Tod durch Überarbeitung” bedeutet. Wirklich fatal, dass es so weit kommen muss.

Vielfältige Gründe, trotz Krankheit zu arbeiten

Das Bild zeigt einen Mann mit kurzen braunen Haaren vor seinem Sofa sitzend, der sich die Nase putzt und sich überlegt, ob er so krank zur Arbeit gehen soll.

Doch warum gehen so viele Angestellte trotz Krankheit ins Büro? Ich habe mich schon oft gefragt, woher dieser eiserne Willen und nahezu masochistische Antrieb kommt, krank ins Büro zu gehen. Mit Achtsamkeit und Selbstliebe hat das wenig zu tun. Wahrscheinlich erscheinen wir auch gesundheitlich angeschlagen im Büro, weil es eben alle und vor allem die Vorgesetzten (wie auch in meinem Fall) machen und es schwer fällt, sich dem Peer Pressure zu entziehen. Und auch aus Angst, durch eine Krankmeldung Schwierigkeiten zu bekommen – mit dem Team, weil durch das eigene Ausfallen am Arbeitsplatz evtl. Mehrarbeit für andere entstehen könnte und natürlich auch mit den Vorgesetzten, die einen dann krankheitsbedingt als minderwertiges, nicht leistungsfähiges Teammitglied ansehen und entsprechend behandeln könnten. Zum anderen aber auch, weil wir uns oftmals selbst mit dem Kranksein schwer tun. Denn wenn wir eins im Schulsystem und in unserer Leistungsgesellschaft gelernt haben, dann das: Krank sein ist schlecht und darf einfach nicht sein! Denn die Devise lautet: Leistung erbringen, immer und um jeden Preis. Bereits im Schulsystem bekommen wir solche Sätze gesagt und genau diese werden im Berufsleben – teilweise sogar mit Bonusprogrammen von Unternehmen, u.a. ein von den Fehltagen abhängiger Mitarbeiter*innenboni bei Amazon oder eine zusätzliche Prämie bei Daimler für Mitarbeiter*innen ohne Krankschreibungen – belohnt. 

Krank zur Arbeit: Gefahr für eigene Gesundheit

Fakt ist: Wer krank zur Arbeit kommt, setzt nicht nur sich selbst, sondern auch seine Kolleg*innen einem erhöhten Risiko aus. Eine Studie der University of London aus dem Jahr 2019 zeigt, dass arbeitende Menschen, die sich krank zur Arbeit schleppen, länger brauchen, um zu genesen, als wenn sie zuhause bleiben würden. Durch die Unterdrückung von Symptomen kann es zu einem höheren Risiko von Komplikationen kommen, die zu einem längeren Krankenhausaufenthalt oder gar zur Arbeitsunfähigkeit führen können. Sickness presenteeism at work, also die Anwesenheit im Büro trotz Krankheit kann dabei auch psychische Auswirkungen haben. Arbeitnehmer*innen, die sich gezwungen fühlen, trotz Erkrankung zur Arbeit zu kommen, können sich gestresst fühlen und das Gefühl haben, dass ihre Gesundheit nicht wertgeschätzt wird.

Krank ins Büro: Erhöhte Ansteckungsgefahr für andere

Kranksein am Arbeitsplatz kann auch die Ansteckungsgefahr für andere erhöhen. Eine Studie der University of Arizona zeigt, dass in Betrieben, in denen Mitarbeiter trotz Erkrankung zur Arbeit kommen, sich Krankheiten bis zu 50% schneller ausbreiten können, vor allem in geschlossenen Großraumbüros. Dies kann zu einem höheren Krankenstand führen und die Arbeitsfähigkeit des gesamten Teams beeinträchtigen. 

Weniger produktiv durch Krankheit

Das Bild zeigt eine schwarze Frau, die auf ihrem Sofa sitzt und sich die Nase putzt und dabei überlegt, ob Kranksein im Büro in Ordnung ist.

Ein weiterer Irrglaube ist, dass dank der Weiterarbeit auch im Krankenstand die Produktivität des Unternehmens nicht gefährdet wird. Es ist genau andersherum: Das Kranksein am Arbeitsplatz kann die Produktivität des gesamten Unternehmens beeinträchtigen – und zwar negativ. Eine Studie der University of London aus dem Jahr 2019 zeigt, dass Unternehmen, in denen Mitarbeiter*innen krank zur Arbeit kommen, höhere Produktivitätsverluste haben als solche, in denen dies nicht der Fall ist. Durch krankheitsbedingte geringere Arbeitsleistung und höhere Fehlerquoten entstehen dem Unternehmen zusätzliche Kosten – mehr als durch die Fehlzeiten, die letztendlich durch Krankschreibungen entstehen.

Reformierte Arbeitskultur: Krank ist krank

Insgesamt ist das Kranksein am Arbeitsplatz ein ernstes Thema, das nicht ignoriert und vor allem verändert werden sollte. Eine reformierte Arbeitskultur muss her – in dem das Kranksein zu Hause und nicht im Büro ausgelebt wird. Unternehmen müssen dabei sicherstellen, dass Mitarbeiter*innen bei Krankheit zuhause bleiben können – ohne sich um ihren Arbeitsplatz sorgen zu müssen. Arbeitgeber*innen müssen unbedingt eine Vorbildfunktion einnehmen – und selbst bei Krankheit zuhause bleiben. Krankenkassen und Experten für Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz schlagen vor, dass Unternehmen ihre Beschäftigten stärker für das Thema Gesundheit und den Umgang mit Krankheit am Arbeitsplatz sensibilisieren sollen. Hierbei kann eine offene und unterstützende Unternehmenskultur beitragen, bei der jede*r einzelne wertgeschätzt wird – auch während des Krankenstandes. Prävention, Stressvermeidung und Ruhezeiten stehen dabei ganz oben auf der Maßnahmen-Liste. Und natürlich ein neuer Glaubenssatz: Unsere Gesundheit und die unserer Kolleg*innen steht an erster Stelle. Dies sollten wir uns alle bewusst machen – und uns zugleich auch gegenseitig darin bestärken. Denn ohne Gesundheit sind wir vor allem eins: aufgeschmissen. 


Krank zur Arbeit – wie seht ihr das? Seid ihr schonmal trotz Krankheit im Büro erschienen? Wie wird in eurem Unternehmen mit Krankheit umgegangen? Wir freuen uns auf den Austausch in den Kommentaren oder auf Instagram.

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