Die Tage der stolz geleisteten Überstunden und der 50-Stunden-Woche scheinen gezählt. Besonders die jüngeren Generationen (zu denen wir zweifelsfrei gehören und immer gehören werden ;)) wollen nicht ständig “side-hustlen”. “Work hard, play hard” ist so langsam nicht viel mehr als ein verschwindender Hashtag. Ein Leben, welches nicht größtenteils aus Arbeit besteht und in dem die Lebensqualität oberste Priorität genießt: Die viel beschriebene Work-Life-Balance.

Als wir den Ursprung der “Work-Life-Balance” suchten, landeten wir vor allem auf Arbeitgeberseiten, die die Vorteile einer gesunden Balance eingehend beschrieben. Mitarbeitende wären dadurch leistungsfähiger, produktiver und könnten also (mal wieder) mehr in kürzerer Zeit erledigen. 

Oh, Entschuldigung? Wie sind wir von einer gesunden Balance aus Arbeits- und Privatleben so schnell zurück in der Produktivitätsmaschine gelandet? Die Freizeit so effektiv wie möglich genießen, damit dann wieder volle Leistung gebracht werden kann. Natürlich denken Unternehmen unternehmerisch, das liegt in der Natur des Kapitalismus, in dem wir leben. Dabei die Mitarbeitenden als Abschreibungsobjekt (=Maschine) und nicht als wertvolle Ressource zu sehen, halten wir allerdings für gefährlich und komplett überholt. Weil es immer noch davon ausgeht, dass gute Arbeit immer gleich hoher Output heißt. Sinnvolle Arbeit, kreatives Ausleben und Wohlbefinden spielen hier kaum eine Rolle. 

Gehört Arbeiten nicht Zum Leben?

Und das bringt uns immer wieder zum Nachdenken. Wenn wir davon ausgehen, dass es eine Work-Life-Balance braucht, damit es uns gut geht – gehen wir dann automatisch davon aus, dass Life gleich “gutes, leichtes Leben” und Work gleich einer “schweren, harten Zeit” ist? Heißt das auch, unsere Arbeit ist nicht Teil unseres Lebens?

“Im Work-Life-Balance-Konzept ist die Arbeit ganz grundsätzlich der Gegensatz, der Feind des „wirklichen“ Lebens. Damit verschärft es die Burnout-Problematik sogar noch, statt ein Lösungsansatz zu sein.”

Markus Frey: https://www.linkedin.com/pulse/warum-das-work-life-balance-konzept-gescheitert-ist-markus-frey

Wenn die Arbeit also nicht zu unserem Leben gehört – dann wäre es doch menschlich, gerade nicht nach einer Balance zu streben. Dann wäre es doch menschlich, möglichst wenig zu arbeiten und möglichst viel zu leben. Und da liegt der für uns größte Fehler in dem Konzept – denn die meisten Menschen gehen gern einer Tätigkeit nach, die ihre Bedürfnisse erfüllt. 

Die meisten von uns verbringen derzeit mindestens ein Drittel unserer Lebenszeit am Arbeitsplatz. Dort tauschen wir unsere verfügbare Lebenszeit gegen Geld ein; ein Tauschgeschäft, dass sich mal mehr, mal weniger lohnt. Wenn wir einen Beruf ausüben, den wir im Inneren ablehnen, können wir auf lange Sicht krank werden. Das kann sich dann auch in alle anderen Lebensbereiche übertragen. Kein Wunder, dass sich viele Menschen heute immer häufiger drängende Frage stellen. Wie möchte ich meine Lebenszeit verbringen und was ist mir dieser Tausch wert? Wäre es nicht viel schöner, für etwas entlohnt zu werden, das ich liebend gern tue?  Dann wäre Arbeit per se auch nicht definiert als Gegenpol zum “echten” Leben, sondern gleichwertig als Energiegeber. 

Natürlich ist es für uns alle wichtig, einen gesunden Ausgleich aus fordernden Aufgaben und völlig freier Zeit zu haben. Aber das eben in allen anderen Bereichen unseres Lebens auch. Und diese schließen wir nicht von unserer Lebenszeit aus. 

Ich bin zum Beispiel kein riesiger Sportfan – und das ist noch untertrieben. Ich mache nicht gern Sport. Es ist für mich nur anstrengend und gibt mir hinterher nicht so viele gute Gefühle, dass es sich “lohnt”. (Wahrscheinlich habe ich noch nicht den richtigen Sport für mich gefunden, ich suche noch.) Trotzdem tue ich hin und wieder etwas sportliches für mich, da ich durchaus den Mehrwert für meine Gesundheit erkenne. Hierbei würde ich aber nie auf die Idee kommen, von einer Sport-Life-Balance zu sprechen. Was würde das auch bedeuten – dass Sportmachen nicht zu einem “guten Leben” zählt?

What about Work-Life-Blending?

Vor allem seit der Pandemie und der damit (für einige Berufe) verbundenen Möglichkeit des mobilen Arbeitens gibt es ein neues Buzzword: Work-Life-Blending. “Blending” bedeutet hierbei so viel wie Vermischung oder Vermengung von Arbeit und Leben. Auch hier scheint die Prämisse zu sein: Arbeit, so wie sie ist und wie wir sie kennen, ist schrecklich anstrengend und schlecht für uns. Deswegen brauchen wir einen Ausgleich – das gute Leben (zu dem dann aber auch so “leichte” Dinge wie Care Arbeit usw. zählen…). Im Work-Life-Blending bedeutet das also, dass wir die “schlechte” Arbeitszeit weiter in unser “gutes” Leben lassen. Klingt nicht wirklich gesünder, oder?

Vielleicht führt es irgendwann dahin, dass wir nicht mehr in Work und Life unterscheiden, aber bis dahin sollten wir unbedingt unsere persönlichen Anforderungen und Bedingungen an Arbeit neu denken. Wenn Arbeit endlich ein angenehmer, manchmal auch fordernder, aber die Bedürfnisse erfüllender Teil des Lebens wird – dann her mit dem schönen Leben!

Die Rubriken dieses Magazins heißen “work”, “life” und “balance”. Wir tun hier also genau das, was wir gerade anprangern. Warum?

Die Work-Life-Balance ist seit Jahren ein etabliertes Konzept, sodass auf einen Blick klar wird, worum es in TRUE GOOD THINGS geht: um gutes Arbeiten, gesundes Leben und eine innere Balance. Wir nutzen die Rubriken und Buzzwords (ähnlich verhält es sich auch mit “New Work”) also bewusst. Wir wollen zum Umdenken anregen, und dazu gehört auch, vorhandene Konzepte zu hinterfragen, an denen auch wir vor einiger Zeit noch festgehalten haben. 

Die Rubriken “life” und “work” unterscheiden sich inhaltlich leicht: Unter “work” findet ihr unsere realen Arbeitsgeschichten von Menschen, die keine Work-Life-Balance benötigen, weil sie Arbeit nicht als Gegensatz zu ihrem Leben betrachten.  Unter “life” sind unsere Artikel zur persönlichen Entwicklung, positiven Psychologie und Konzepten, die sowohl im Arbeits- als auch im restlichen Teil des Lebens Platz finden. Denn wir sind ja keine andere Person an der Arbeit – wir sind wir. 

Um noch einmal auf die Unternehmenssicht von oben zurück zu kommen: Wenn Arbeit nicht mehr das Gegenteil von Leben bedeutet, sondern Mitarbeitende ihre Arbeit als einen Teil ihrer Lebenszeit wertschätzen, kann sich die Produktivität nur erhöhen. Das passiert natürlich nicht nur in den Köpfen der Arbeitnehmer*innen, sondern muss vom Arbeitgeber gestaltet werden. Ein Arbeitsklima von Wertschätzung, Verständnis, Vertrauen, Augenhöhe und einem gemeinsamen Ziel ist die Grundlage dafür. Zufriedene Menschen, die den Sinn in ihrer Tätigkeit sehen und gern ihr Leben und ihre Talente zur Verfügung stellen, ist die wundervolle Vision, die wir uns für alle Arbeitsbereiche wünschen.


Was sagt ihr? Ist eine gesunde Work-Life-Balance wichtig für euch? Wie wäre es, wenn wir nicht in Arbeits- und Freizeit unterteilen, sondern alles in “Lebenszeit” sehen und uns neu denken? Was würdet ihr anders machen? Wir freuen uns auf den Austausch in den Kommentaren oder auf Instagram.

©Photos by Brooke Cagle on Unsplash. Thank you!