Wie finde ich berufliche Erfüllung?
Muss mein Job mich komplett erfüllen? Oder erwarte ich zu viel? Was ist berufliche Erfüllung überhaupt - ganz allgemein und für mich? Meine Gedanken zu Erfüllung, Erwartungen und Ansprüchen an die Arbeitswelt.
Muss mein Job mich komplett erfüllen? Oder erwarte ich zu viel? Was ist berufliche Erfüllung überhaupt - ganz allgemein und für mich? Meine Gedanken zu Erfüllung, Erwartungen und Ansprüchen an die Arbeitswelt.
Auf der Suche nach der Art von Arbeit, die perfekt zu mir und meinen Erwartungen passt, spreche ich seit Jahren mit vielen verschiedenen Menschen. Frage sie, ob sie berufliche Erfüllung spüren und wenn nicht, was sie trotzdem in ihrem beruflichen Umfeld hält.
Dabei habe ich direkt eine Person im Hinterkopf: Diese erzählte mir, dass sie seit 15 Jahren den gleichen Job ausübe. Auch wenn dieser Job ihr keinen Spaß machen würde, sehe sie dennoch keinen Grund zu wechseln. Auf meine Frage, was sie denn dann in diesem besagten Job überhaupt halten würde, antwortete sie: “Ich habe viele tolle Dinge in meinem Leben. Nicht so wie andere, die sich permanent im Job beweisen oder da ihren Sinn rausziehen müssen. Ich habe halt eine Familie und Hobbies.”
Da saß ich nun und fühlte mich zugleich tief gekränkt und verunsichert. Hatte ich ein so unfassbar sinnloses und leeres Privatleben, dass ich mich an einen erfüllenden Job klammern “musste”, um überhaupt irgendwie Freude erleben zu können? Oder übertrieb ich es einfach mit der Suche nach der Arbeit, die zu mir passte, und sollte mich endlich um andere Dinge in meinem Leben kümmern – Partnerschaft, Kinder, was-wir-eben-so-machen-sollten?
Fast forward in den Oktober 2021. Ich arbeite hart an meiner Selbstständigkeit. Ich kämpfe mit Ängsten und Zweifeln. Der Erwartungsdruck ist ziemlich hoch – vor allem von mir selbst. All das ist mir nicht neu und trotzdem wundert es mich. Soll das so sein? Sollte ich hier nicht wie ein Glücksbärchi vor meinem Laptop sitzen und endlich voll erfüllt sein?
“Wähle einen Job, den du liebst, und du wirst nie wieder arbeiten müssen” soll Konfuzius gesagt haben. Wenn ich vor meinen Steuern sitze, oder etwas mit meiner Website nicht funktioniert, habe ich nicht so richtig Spaß – und es fühlt sich verdammt nach Arbeit an (sorry, Konfuzius). Bin ich dann also nicht erfüllt, liebe ich meinen Job nicht? Bedeutet Erfüllung, dass ich immer alles toll finde, was ich mache? Damit wären allerdings die Ansprüche an Erfüllung im Job in astronomischen Höhen – und fast unerreichbar.
Übrigens möchte ich dieses Konfuzius-Zitat auch aus einem weiteren Grund eigentlich nie wieder lesen (Again sorry, Konfuzius). Er reproduziert so markant das Narrativ, dass wir alle nur selbst für unser Glück verantwortlich sind. Dass wir einfach nur wählen müssen, und dann hat sich alles, was wir mit dem negativen Wort “Arbeit” verbinden, in Luft aufgelöst. So funktioniert aber unsere (Arbeits-)Welt meiner Ansicht nach nicht. Arbeit ist sehr oft noch ein starres System, in das wir hineinpassen sollen (wie in diesem Artikel beschrieben). Wir haben außerdem Rechnungen zu begleichen, soziale und familiäre Anforderungen und so weiter. Das sind keine schnöden Ausreden, sondern Lebensrealitäten – ganz abgesehen davon, dass nicht jeder Mensch die gleichen Grundvoraussetzungen mitbringt und nur “wollen muss”. Strukturelle Diskriminierung im Alltag ist für sehr viele Menschen Realität.
Fangen wir doch mal damit an, was Erfüllung (und Erfüllung im Job) eigentlich bedeutet. Der Duden definiert Erfüllung als “inneres Erfülltsein von einer Sache, sodass das Denken und Fühlen weitgehend davon beherrscht wird”. Das würde also bedeuten, Erfüllung im Job heißt, dass mein Denken und Fühlen von meinem Beruf beherrscht wird. So habe ich mir das aber nicht vorgestellt.
Juristisch meint Erfüllung “das Erlöschen eines Schuldverhältnisses und tritt ein, wenn der Schuldner die geschuldete Leistung an den Gläubiger geleistet hat.” (Juristische Definition von juraforum.de)
Heißt in unseren Kontext übersetzt: Die Erfüllung tritt ein, wenn die Erwartungen und Ansprüche an den Job (Schuldner) gedeckt sind. Wenn wir nun also erwarten, dass Arbeit sich nie wie Arbeit anfühlt und wir nur dann erfüllt sind – uff. Das ist groß und kann so eigentlich nur enttäuschen.
Wenn ich zurückdenke, habe ich wahrscheinlich mein Studium und meinen ersten Job nicht gewählt, damit ich mich “erfüllt” fühle. Ich habe Management & Marketing nicht studiert, weil es meine innersten Werte widerspiegelt. Sondern weil ich dachte, dass ich es gut können und es mir ein gutes, solides Leben ermöglichen würde. Das waren meine Ansprüche an meine berufliche Zukunft.
Hätte ich nur auf meine Interessen und nicht auf meine Ängste und Erwartungen gehört, hätte ich versucht, Gesang oder Grundschullehramt zu studieren oder eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht. Hätte mir das heute mehr Erfüllung gebracht und meine aktuellen Ansprüche erfüllt? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Die Frage ist doch eher: Was sind meine Erwartungen an meinen Beruf? Was muss mein Job für mich leisten (und nicht nur ich für meinen Job)? Und darf sich das auch ändern?
In vielen meiner beruflichen Stops wollte ich doch immer irgendwie Erfüllung erreichen. Ich hatte allerdings dabei auch immer ganz Ansprüche an die jeweilige Stelle, an meine Vorgesetzten, an meine Kolleg*innen und schließlich vor allem an mich und meine Gefühle. Allgemein wollte ich mich gebraucht und wertgeschätzt fühlen mit dem, was ich tue. Aber es gab trotzdem sich verändernde Ansprüche: mal mehr finanzielle Sicherheit, mal mehr Dynamik und Lernen, mal mehr der soziale Aspekt und das Sinnerleben.
Erfüllung im Job muss also nicht immer Liebe, Spaß und Feenstaub bedeuten. Für mich bedeutet es momentan auch, als Ich gesehen werden. Mich zum Ausdruck bringen zu können. Kreativ und im Austausch sein zu können. Das möchte ich von meinem Job. Im Allgemeinen möchte ich noch weitere Dinge, aber mein Beruf muss nicht meine kompletten Bedürfnisse und Ansprüche erfüllen, dich ich an mein Leben stelle. Dafür dürfen andere Bereiche meines Lebens andere Facetten zum Vorschein bringen.
(Finanzielle) Sicherheit steht bei mir interessanterweise erst an nächster Stelle. Momentan zumindest – ich habe keine Familie zu ernähren, kein Auto abzubezahlen oder weitere monetäre Einschränkungen. Also nehme ich mir die Freiheit, mich in erster Linie kreativ auszutoben. Das ist nicht jedem Menschen möglich und auch nicht für jeden Menschen das richtige. Unsere Lebensumstände sind so vielfältig wie wir – und daher sollten auch unsere Ansprüche an die Arbeit genauso vielfältig sein.
Der Schlüssel könnte also darin liegen, was “berufliche Erfüllung” für mich persönlich bedeutet. Und nicht nur das, sondern dass sich meine eigene Definition von Erfüllung auch jederzeit ändern und an veränderte Lebensumstände, Einstellungen und Werte anpassen darf. Meine Erwartungen und Ansprüche an meinen Job dürfen mit mir wachsen. Wie schön das klingt.
Der Aufwand dahinter steckt im dem Hinterfragen der eigenen Werte, Normen, Ansprüche und Erwartungen. Was möchte ich für mich? Wie möchte ich meine Zeit verbringen? Was brauche ich, um mich sicher zu fühlen? Was ist mir wichtig und was hat sich verändert? Welche Einstellungen habe ich gegenüber dem Arbeiten und was davon gehört wirklich zu mir? Was habe ich vielleicht von der Gesellschaft so übernommen und passt so gar nicht (mehr) zu mir? Viel zu tun, immer wieder. Aber es lohnt sich.
Was ist berufliche Erfüllung für dich? Was sind deine Ansprüche an deinen Job? Wir freuen uns auf den Austausch in den Kommentaren und auf Instagram.
©Photo by Brooke Cagle on Unsplash. Thank you!
7 Comments
Hallo Fine,
ein toller Text zu diesem wichtigen Thema. 👌🏻
In unserem Beitrag über „Lebensmotive verstehen – finde deine Leidenschaft“ haben wir deine wertvollen Impulse verlinkt.
Wir wünschen dir eine schöne Woche. 💕
Liebe Grüße
Julia & Steffen
https://fidertas-awareness.com/lebensmotive-leidenschaft-finden/