Eigentlich hatte ich alles, was sich jeder Mensch wünschen sollte. Freunde, Familie, Beziehung, Job, Wohnung, Geld, Reisen, Sicherheit, Spaß. Ich war beruflich auf einem soliden Pfad, konnte die Leiter weiter erklimmen, wenn ich wollte, oder einfach da bleiben, wo ich war. Eigentlich war alles gut. Eigentlich hätte ich zufrieden und glücklich sein sollen.

Eigentlich. 

Denn in mir drinnen tobte ein Sturm, den ich nicht verstand. Warum war ich nicht einfach glücklich in diesem Leben? Wo sollte ich denn sonst hin, wer sollte ich denn sonst sein? Die Antworten hatte ich nicht. Aber das war der Punkt: Ich lebte ein Leben mit Bedürfnissen und Werten und Wünschen, von denen ich dachte, dass es genau so richtig sei. Und das war alles irgendwie richtig – nur halt nicht für mich. Ich lebte nicht MEIN Leben, nach MEINEN ganz individuellen Bedürfnissen. Und ich hatte keine Ahnung, was diese waren.

Warum wissen wir so oft nicht, was wir brauchen?

Wir werden in eine existierende Gemeinschaft reingeboren, in die wir versuchen, so gut es geht zu passen, um zu überleben. Das ist ganz natürlich und nicht verwerflich. Wir lernen, unseren Eltern zu gefallen, ins Schulsystem zu passen, uns bestimmte Hobbies zu suchen, die in unserer Region gerade verfügbar sind. In dem Rahmen entfalten wir uns – ohne den Rahmen wären wir gerade in jungen Jahren vielleicht auch sehr überfordert.

Wir lernen aber selten, aus diesem Rahmen hinauszuwachsen und uns unseren eigenen zu schaffen – weil die Systeme starr bleiben. Ausbildung oder Studium folgen genauen Plänen. Jobs sind vorgeformt. Selten haben wir die Möglichkeit, etwas nach unseren Vorstellungen zu formen, Neues zu probieren und uns so kennenzulernen. Warum reisen so viele junge Menschen nach Schule und/oder Studium? Warum gibt es auch in Deutschland immer mehr Van Life und Tiny House Bewegungen? Weil wir uns finden wollen, zu uns finden wollen. Neue Rahmen schaffen, die zu unseren Bedürfnissen passen.

Was sind Bedürfnisse und warum sind sie gerade heute so wichtig?

Wir haben das unglaubliche Glück, in eine Zeit und ein Land geboren zu sein, in dem wir uns in Sicherheit befinden. Unsere menschlichen Grundbedürfnisse und unser Sicherheitsbedürfnis sind gedeckt. Wenn wir die Bedürfnispyramide nach Maslow betrachten sind diese beiden Bedürfniskategorien für uns am wichtigsten. Sind diese gedeckt, also haben wir alles zum Überleben (Grundbedürfnisse oder physiologische Bedürfnisse) und fühlen wir uns körperlich und seelisch sicher (Sicherheitsbedürfnisse), können wir uns um die höheren Kategorien kümmern: soziale Bedürfnisse, Individualbedürfnisse und Selbstverwirklichung. 

Unsere sozialen Bedürfnisse bestehen aus Verbindungen zu anderen Menschen: Familie, Freunde und soziale Gruppen. In diese Kategorie zählen also beispielsweise die Bedürfnisse nach Kommunikation, Unterstützung, Zugehörigkeit oder jeglicher Art von Liebe. Die Individualbedürfnisse sind unsere Wünsche nach Erfolg, Anerkennung und Wertschätzung, Freiheit, Abenteuer und Stärke. Erst wenn auch diese individuellen Bedürfnisse erfüllt sind, strebt jeder Mensch (laut Maslow) nach Selbstverwirklichung. Wir fangen an, nach Sinn in unserem Leben zu suchen, wollen unsere Kreativität ausleben, Potentiale weiter entdecken und Fähigkeiten entwickeln. 

Ob diese Kategorien auch heute noch genauso Bestand haben, sich geändert haben oder ob wirklich alle menschlichen Bedürfnisse in diese Kategorien passen, wird oft bezweifelt. Auch, dass die Maslowsche Bedürfnispyramide nicht statisch ist und nicht jede Kategorie zu 100% erfüllt sein muss, ist eher der heutige Konsens. Und doch zeigt diese Unterteilung, dass, wenn grundlegende Bedürfnisse erfüllt sind, wir uns mehr und mehr unseren eigenen, inneren Bedürfnissen widmen. 

Das scheint der Grund zu sein, warum so viele von uns sich auf die Sinnsuche begeben, ihre Leben überdenken und Bedürfnisse anders auszuleben versuchen. Ich bin davon überzeugt, dass jetzt auch die richtige Zeit dafür ist und dass das unserer gesamten Gesellschaft und dem Planeten nur helfen kann. Menschen, die im Einklang mit sich selbst leben, werden am Ende eher das tun, was der Gesellschaft, der Menschheit und/oder dem Planeten dient, weil die inneren Kämpfe einem inneren Frieden weichen.

Ist das meins, oder kann das weg?

Ich habe lange Jahre so gelebt, dass es mir immer eigentlich gut ging. Weil meine Grundbedürfnisse, mein Sicherheitsbedürfnis, meine sozialen Bedürfnisse und auch Teile meiner Individualbedürfnisse gedeckt waren. So ganz allgemein in meinem Leben sah ich auch keinen Grund, große Änderungen vorzunehmen oder mich grundsätzlich zu hinterfragen. Bis immer wieder diese nagende Stimme im Hinterkopf fragte: “Und jetzt? Was willst du gern?” und ich darauf keine Antwort hatte – außer, dass ich nicht nur “eigentlich okay” sein wollte. Sondern mehr vom Leben wollte, ohne zu wissen, wie dieses mehr aussieht. 

Um meine wahren Bedürfnisse zu erkennen, habe ich in den letzten 5 Jahren sehr viel über Bord geworfen – sowohl innerliche Überzeugungen als auch äußerliche Verbindungen und physisch Dinge, um Raum zu schaffen. Das war unbequem und schmerzhaft, und gleichzeitig befreiend und belebend. Vor allem hat es mir geholfen, mich selbst so viel besser kennenzulernen. Seit dem mache ich immer mal wieder eine Bestandsaufnahme, wenn eine Entscheidung oder Veränderung ansteht. Oder wenn ich merke, dass es “eigentlich” ja alles gut sein sollte, aber sich nicht so richtig anfühlt. 

WILL ICH DAS?

Das Bild zeigt Frau am Laptop mit Kaffee daneben, der Blick gelangweilt oder genervt, als wären Bedürfnisse unerfüllt

Am Anfang so einer Bestandsaufnahme steht dabei immer die folgende Frage: WILL ICH DAS? Diese Frage drei Mal laut gestellt, mit sehr unterschiedlicher Betonung und einem echten Interesse an den eigenen Antworten, wirkt einfach genial: 

WILL ich das?
Will ICH das?
Will ich DAS?

Um herauszufinden, ob ich das wirklich möchte, ob es wirklich MEINE Wünsche sind und nicht Wünsche, die ich irgendwann einmal von Familie, Gesellschaft u.ä. übernommen habe, und um zu schauen, ob DAS wirklich das Bedürfnis abdeckt, oder es noch was anderes sein könnte, stelle ich mir diese Frage(n). Was aber, wenn gerade keine Veränderung ansteht oder ich nicht an einem bestimmten Punkt in meinem Leben zweifele und trotzdem nicht weiß, was meine Bedürfnisse sind?

Zwei der wichtigsten Werkzeuge im Bedürfnis-Koffer: Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen

Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen werden oftmals als Synonyme verwendet. Dabei sagen beide Begriffe doch sehr unterschiedliche Dinge aus. 

Selbstbewusstsein hat viel mit Selbstkenntnis zu tun: sich seiner selbst bewusst sein. Sich seiner inneren Welt, Gefühlen und Gedanken bewusst sein, bei sich sein. Selbstbewusstsein kann nach außen Selbstsicherheit ausstrahlen, weil wir uns in uns selbst sicherer fühlen. Wenn wir uns unseres Innenlebens bewusst sind – ohne Bewertung und auch erst einmal ohne zu versuchen, es zu verändern – lernen wir uns immer besser kennen. Wir spüren in verschiedenen Situationen, was wann wie hoch kommt, und lernen es einzuordnen. Und können so viel besser verstehen, was uns gut tut und etwas in uns erfüllt. 

Selbstvertrauen hat viel mit sich selbst ernst nehmen zu tun: Ich glaube mir, und ich “fake” nichts. Alles was ich fühle, ist da, darf da sein. Ich vertraue mir da – auch wenn andere das vielleicht anders sehen. Um die eigenen Bedürfnisse zu kennen und darauf zu hören, ist auch das Vertrauen in das eigene Bauchgefühl, die Intuition, unglaublich hilfreich. Die Intuition weiß sehr oft schon deutlich früher als der Kopf, wenn wir gerade gegen eines unserer Bedürfnisse arbeiten – egal in welchem Bereich unseres Lebens. 

SICH SELBST BEWUSST SEIN & SICH SELBST VERTRAUEN

Sich selbst bewusst sein heißt also, erst einmal hinzuschauen. Was bereitet mir Freude, wobei tanke ich meine Energien auf, was brauche ich wirklich? 

Sich selbst vertrauen heißt also, sich selbst zu glauben. Irgendwas stimmt nicht, ich brauche es anders, warum? Wohin genau lenkt mich meine Intuition? Was daran ist besser für mich?

Früher brauchte ich erst einen großen Knall, um in mich hinein zu hören. Musste mich wirklich verloren haben und fast alles los lassen, um auf meine eigenen Bedürfnisse hören zu lernen. Heute sind meine Schritte selbstbewusster und fester, wenn ich merke, dass ich nicht nach meinen Bedürfnissen lebe. Zum einen, weil ich mich deutlich besser kenne, zum anderen, weil ich das Vertrauen in meine Intuition stetig ausbaue. Das bedeutet nicht, dass sich meine Bedürfnisse nicht ändern dürfen. Aber das bedeutet, dass ich hellwach bin und schaue, welches Bedürfnis gerade zu kurz kommen könnte, sobald der “eigentlich ok” Zustand anklopft. Dieser Zustand ist deckt nämlich absolut kein Bedürfnis von mir, auch wenn es doch nach außen eigentlich gut sein müsste. 

Eigentlich.


Was sagt ihr? Kennt ihr das leise „eigentlich“ im Hinterkopf? Wie geht ihr damit um? Wir freuen uns auf den Austausch in den Kommentaren oder auf Instagram.

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