Mehr Leidenschaft, mehr (Eigen-) Potential und kein Bla-bla mehr: Die Karriere von Dr. Nelly Simonov als promovierte Psychologin begann zunächst mit zwei misslungen Coaching Sitzungen, in denen ihr gesagt wurde, wie unperfekt und fehlerhaft sie sei. Genau das war der Moment, in dem ihr klar wurde, dass sie durchaus Potential hat. Heute arbeitet Nelly als Erfolgs- und Karriere-Coach und Trainerin in den Bereichen Migration und Integration, interkulturelle Kompetenzen und Konfliktmanagement. Nelly unterstützt jetzt andere dabei, ihren eigenen Job-Traum wahr werden zu lassen. Nelly ist dabei ebenso Aktivistin für eine neue Arbeitswelt wie auch Mutmacherin für die individuelle Potentialentfaltung und immer mit Herzblut bei der Sache. Wir sprechen mit Nelly darüber, wie sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat und wie sie jetzt in ihren Coachings anderen dabei hilft, ihre Nische zu finden und das retikuläre Aktivierungssystem neu zu programmieren. Nelly erklärt uns auch, warum nicht das Wie, sondern das Was entscheidend und warum New Work das Arbeitsmodell der Zukunft ist.

TRUE GOOD THINGS: Wer bist du und was machst du? 

Nelly Simonov: Oh, das ist natürlich so eine Falle! Den Elevator Pitch habe ich tatsächlich so jetzt nicht parat, weil ich so viele unterschiedliche Dinge mache. Meine Herzensangelegenheit ist, Menschen beruflich vorwärts zu bringen. Menschen, die in einer Sackgasse stecken und nicht wissen, wie es weitergehen soll. Menschen, die in so einem Mindset-Muster stecken und nicht ausbrechen können. Und da bin ich “ein A-Treter.” Kann ich das so sagen? Bin ich eine empathische Führerin? Bin ich ein Weihnachtsmann für Erwachsene und mache den Job-Traum wahr? – Ich weiß es gar nicht. Es ist vielleicht eine Mischung daraus, von allem ein bisschen. 

Genau das ist meine Leidenschaft. Weil ich es einfach wenig ertragen kann, Menschen beruflich unglücklich zu sehen. Weil ich weiß, dass für jede*n irgendwo ein Job Glück zur Verfügung steht. Man muss es nur wollen und man muss es nur machen. 

– Dr Nelly Simonov

Eine andere Herzensangelegenheit ist für mich das Training für interkulturelle Kommunikation, Konfliktmanagement und ganz unterschiedliche Themen der psychologischen Sicherheit. Weil ich der Meinung bin, dass man in einem sicheren psychologischen Rahmen über alle Dinge sprechen kann. Alle Konflikte, Störungen in dieser Welt und Kriege kommen ja aus einer fehlenden oder falschen oder schlechten Kommunikation. Ich versuche, diese Muster bei den Menschen in den Köpfen zu korrigieren, das Wissen und die Tools zu vermitteln. Und die Tools sind eigentlich ganz einfach. Man muss sie nur anwenden und üben. Und das steht absolut jedem zur Verfügung. Ich bin auch der Meinung, diese Kommunikations-Tools so früh wie möglich den Kindern beibringen und selber als Eltern anzuwenden und zu zeigen: “Aha, so geht das.” Denn  Eltern machen auch viel Mist, u. a. in der Kommunikation, was unsere Kinder dann kopieren. 

Das sind so meine zwei Herzen in meiner Brust und die lassen sich aber auch super vereinen. Oft ist es ja auch beim beruflichen Stillstand so, dass die Kommunikation mit mir selber nicht funktioniert. Was habe ich für eine Einstellung zu mir selbst? Was tue ich für mich selbst? Was gönne ich mir? Was erlaube ich mir? 

Wie hast du diesen Job für dich gefunden? Oder besser gesagt – all die Jobs, die du machst? Wie bist du dazu gekommen?

Der Job hat mich gefunden. Ich habe ganz andere Pläne im Leben gehabt, aber bin immer Juhu-schreiend irgendwie in Projekte reingesprungen und hab alles angenommen, was sich für mich richtig angefühlt hat. Das war auch mit der Doktorarbeit so. Ich habe Psychologie studiert, Erziehungswissenschaften und Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Und daraus ist dann eine Promotion entstanden im Bereich Psychologie der Identität, Psychologie der Kultur und Migration. Und aus meiner Promotion sind ganz, ganz viele Veranstaltungen entstanden. Vorlesungen, auch ein Kinderbuch – oder besser ein Jugendbuch –, was ich noch nicht publiziert habe, aus dem ich aber schon in meinen Veranstaltungen vorlese, als Beispiel dafür, wie ein friedliches, ein interkulturelles Miteinander funktionieren kann. […| Man hat mir immer wieder neue Themen anvertraut, wo ich dann gesagt habe: “Oh, das habe ich noch nicht erarbeitet, aber ich mache das einfach Mal!” Und so kam es von einem zum nächsten, von Trainings und von Seminaren zur Kommunikation kam ich zu Integration auf den Arbeitsmarkt. Ich hatte eine Anstellung bei einem Bildungsträger und habe in einem Projekt als Coach für Akademiker und Führungskräfte fungiert. Und dann habe ich gedacht: Mensch, ich will das in meinem eigenen Rahmen machen. Ich will meine eigenen Methoden ausprobieren. – Und das konnte ich da auch. 

Aber meine Arbeit mutierte immer mehr vom Coach zum “Menschenverwalter.” Das konnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren und habe daher gesagt: “Das mache ich nicht mehr mit!” 

– Dr Nelly Simonov –

Und so habe ich angefangen, meine Selbstständigkeit auszuweiten, die ich auch damals als Trainerin weiterführen durfte. Außerhalb meiner Festanstellung habe ich immer mehr die Coaching-Aufträge übernommen und bin dann ins kalte Wasser gesprungen und habe mich selbstständig gemacht. Ich habe mich losgelöst von dem Unternehmen und war natürlich viel freier – auch zeitlich – mich voll den Kund*innen zu widmen. Meine Festanstellung war aber insofern ganz toll, dass ich das wie eine Spielwiese betrachtet habe und mich da ausgetobt habe. Ich habe eigene Methoden entwickelt, die ausprobiert und wirklich ganz, ganz, ganz viele Menschen kennengelernt und gecoacht. In der Zeit glaube ich waren es um die 100 Menschen, die ich gecoacht habe (…). Das war eine tolle Lernzeit. Aber dann hat sie auch ihren Abschluss gefunden. 

Ich bin dann in eine Weiterbildung gegangen und habe mich als Business Coach und Change Management Consultant und Business Trainer zertifizieren lassen. Das heißt, ich habe mir dann die Erfahrung, die ich schon massiv in ca. 1000 Trainingsstunden gesammelt habe, mit einer Zertifizierung internationalen Zertifizierung veredeln lassen, damit es auch nach außen sichtbar ist. Das ist natürlich ganz gut, wenn man Personal Branding betreibt und Marketing für sich aufstellt. 

Das klingt alles sehr spannend und inspirierend. Vor allem, dass dich auch viele Sachen gefunden haben oder du vieles ausprobieren konntest, um auch dahin zu kommen, wo du jetzt bist.

Ich bin dafür auch sehr dankbar. Es war auch so, dass ich selbst zwei sehr schlimme Coachings erlebt habe. Die Situation war damals, dass ich promoviert hatte, aber nicht wusste, was ich jetzt machen soll. Ich wollte in der Forschung bleiben, ich wollte eine Professorenstelle. Und ich kam einfach nicht weiter. Ich habe dann ein professionelles Coaching in Anspruch genommen, aber da fehlte mir so viel! Zum Beispiel wurde mir da gesagt, dass ich für mein Profil wirtschaftliches Wissen benötige und noch einmal eine Weiterbildung in Wirtschaftswissenschaften dazu nehmen sollte. Mit Psychologie und Pädagogik würde ich einfach nicht weit kommen. Es wurde mir einfach gesagt, wie unperfekt und fehlerhaft ich bin. Und wie falsch ich jetzt gerade auf dem Arbeitsmarkt bin. Forschung bringt gar nichts, da würde ich kein Geld verdienen. Und alles andere braucht mein Wissen nicht. Das hat mich natürlich total niedergeschmettert, mit meinem Selbstbewusstsein als gerade frisch promovierte Psychologin. Das, was ich habe, reicht etwa immer noch nicht?

Und dann kam ich nach Hause und habe mit meinem Mann [über das Coaching] gesprochen und auch den Flyer der Wirtschaftsschule gezeigt. Mir liefen die Tränen, wie viel mir noch bevorsteht, bevor ich für meine Familie sorgen kann. In diesem Moment ist mir irgendwie bewusst geworden: “Moment mal, ich habe so viel Potential und es wird doch irgendwo gebraucht!” Es war mir danach so schleierhaft, was das für Coaches waren. Wie geht man mit Menschen um, die Potential haben? 

Und jeder Mensch hat Potential. Jeder Mensch hat Ressourcen. Warum nicht mit den Ressourcen arbeiten, die da sind? Warum nicht einfach diese Schatzkiste aufmachen und gucken, was wir damit Schönes anstellen können, anstatt Menschen als unperfekt und mangelhaft zu betrachten. 

– Dr. Nelly Simonov

Und dann auch gucken, was kann ich denn noch dazu geben, damit der Mensch einigermaßen zurechtkommt? Das war für mich tatsächlich Ansporn, dass ich mich ganz intensiv mit dem Thema beschäftige. Und ich glaube auch, da entstand der Impuls, die Coachings in Richtung modernes Bewerbungsmarketing hin aufzusetzen und sich mehr damit auseinanderzusetzen. […] Geht es auch anders? Was ist hier auch noch alles möglich? Geht es auch leichter? Es lohnt sich, diese Fragen zu stellen.

In der Bio auf deiner Webseite schreibst du: „Ich habe mir meine Leidenschaft zum Beruf gemacht und das ist mein Erfolgsrezept.“ Würdest du das jedem Menschen empfehlen? Ist das das ‘Erfolgsrezept’ oder der ‘Geheimtipp’ für ein erfülltes Arbeitsleben?

Ja, ganz im Sinne von New Work. Ich bin davon überzeugt, dass New Work das Zukunftsmodell ist und ich hoffe sehr, dass es auch bald Gegenwartsmodell wird. Dass die Idee [vom neuen Arbeiten] in unseren Köpfen so weit ausgereift ist, dass wir es auch einfach alle umsetzen. Bei dem Modell geht es darum, dass jede*r eine Leidenschaft besitzt. Jede*r von uns macht etwas wahnsinnig gerne oder kann etwas besser als die anderen. Wenn ich dann acht Stunden als Arbeitstag zur Verfügung habe und etwas machen kann, was mir Leidenschaft bereitet und andere dadurch aber auch Nutzen haben und ich einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft, der Natur, dem Planeten, anderen Menschen leiste – dann fühlt sich das nicht wie Arbeit an. Dann ist es ein täglicher Flow, dann bin ich im Innovationsmodus, dann kreiere ich etwas Neues, etwas Gutes für andere – und das ist meine Arbeit. […] 

Es gibt so viele Ressourcen da draußen, dass jede*r seine Nische finden kann. Wenn man die Nische gefunden hat und das machen kann, was man gerne macht, dann ist das auf jeden Fall nachhaltig erfolgreich. 

– Dr. Nelly Simonov –

Und genau dann kommt diese Leichtigkeit. Wenn man sich selber entwickeln kann und zufrieden ist, dann zieht man auch positive Energie an. Dann zieht man Lob an, man zieht ganz andere Kontakte an. Und man muss dabei nicht immer das Gleiche machen, sondern es kommt von einem ins Nächste. Wenn man sich das erlauben kann, dann entsteht immer wieder was ganz Neues, was ganz Tolles. 

Würdest du sagen, dass das der Fokus von deinem Coaching ist? Dass du versuchst zusammen mit deinen Kund*innen deren Nische zu finden? Dass sich dadurch dein Coaching von anderen abhebt? 

Absolut, ich hab’s ja bei mir selbst gesehen. Und ich hab’s bei Kund*innen gesehen, wie sie aufblühen, sobald sie ihre Sinnstiftung, ihre Berufung gefunden haben. Ganz, ganz wichtig ist es, den Sinn darin zu sehen. Macht der Job für mich Sinn oder mache ich acht Stunden lang eine Tätigkeit, geh nach Hause, schalte ab? Ich sehe diese Veränderung. Ich sehe, wie die Menschen an Haltung gewinnen. Sie kommen oft zu mir ins Coaching in gebückter Haltung und plötzlich wachsen sie einfach über sich hinaus. 

Und wenn sie an Haltung gewinnen, an Einstellung, an diesem Mindset, dann verändert sich das ganze Lebensumfeld der Menschen. 

– Dr. Nelly Simonov

Deshalb spreche ich niemals von Work-Life-Balance, weil wie kann ich den das Leben aus dem Arbeitsbereich ausschließen? Wenn ich auch in der Arbeit leben und atmen darf, mein Herz in der Arbeit schlägt, dann ist das auch Life. Wir müssen das Life ausdehnen – in den Arbeitsbereich, weil wir dort immerhin acht Stunden verbringen. […] Das ist meine Spezialität im Coaching, dass ich ganz bewusst und sehr intensiv mit dem / der Kund*in beschäftigt bin, den Bereich zu finden, der die oder den Kund*in erfüllt. Genau da, wo sie sagen: Ja, das wollte ich schon immer! 

Why not? Wann, wenn nicht jetzt? Diese Erlaubnis zu geben – viele brauchen wirklich eine Erlaubnis, genau das weiterzudenken. Weil sie sagen: “Aber das kann ich doch nicht! Ich habe doch Kinder!” – Nein, kein Aber! Lass uns das wirklich mal auseinandernehmen und gucken, was die Gründe sind, das jetzt nicht zu tun. Sind die Gründe real oder sind das irgendwelche Denkmuster von außen anerzogen und übernommen? Ist das mein Denken oder ist das fremdes Denken?

Ich hab tatsächlich mal einem Kunden das Coaching verweigert. Ich habe gesagt, an der Stelle mache ich nicht weiter. Weil er sich gegen seine Leidenschaft entschieden hat. Er hat gesagt: Für drei Jahre gehe ich noch einmal in diese Anwaltskanzlei; ich arbeite hart und dann irgendwann einmal mache ich das, dann ziehe ich meinen Traum durch. Er kam aber aus einem Burnout. Er wollte an seiner Situation nichts verändern, außer die Kanzlei wechseln. Ich habe gesagt: No way, da mache ich gerade nicht weiter! Wir haben dann das Coaching zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen und tatsächlich haben wir es geschafft, den Kunden in einen anderen Bereich ”reinzucoachen”. Alles zu aktivieren, bis er gemerkt hat, dass es kein Halten mehr gibt. Bei ihm war es der Immobilienmarkt und eben nicht die Anwaltskanzlei. Und trotzdem konnte er dort alle Ressourcen einsetzen und sein Hobby – Immobilien – quasi in den Beruf integrieren. Es war wirklich super, diese Veränderung zu sehen.

Stichwort Kind, darüber haben wir vorhin schon kurz gesprochen. Auf deiner Webseite bietest du ein besonderes Coaching für Mamas – Mama Is Star – an. Würdest du sagen, dass es Frauen immer noch schwerer haben, Kind und Karriere zu vereinen bzw ihrer Leidenschaft nachzugehen?

Absolut. Das ist teilweise wirklich zähe Arbeit. Den Fehler machen eigentlich fast alle Mamas – ich auch damals. 

Dass es immer darum geht: WIE vereinbare ich das? WIE soll das gehen? Statt: WAS will ich? Und wenn ich erstmal an dem Ziel arbeite und nicht an den Wegen, dann entwickeln sich die Wege von alleine. 

– Dr. Nelly Simonov –

Das muss man einfach machen, mir dabei vertrauen und in die Umsetzung gehen. Was ist hier alles möglich? Und was möchtest du eigentlich? Und wenn das Ziel attraktiv genug ist, dann finden sich die Wege von allein. So ist es bei mir auch gewesen. Ich habe zwei Kinder – die waren jetzt nicht ganz klein – und ich habe dieses Angebot bekommen, als Coach zu arbeiten. Ich dachte immer: “Wie? Wie soll das gehen? – Egal, ich mach’s einfach und wir sehen es einfach schon.” Mein Mann hat mir sehr gut dabei geholfen. Er hat mir immer gesagt: “Es fühlt sich doch richtig an, dann mach doch einfach! Wir kriegen das schon irgendwie hin!” Und genau hier wünsche ich mir, dass alle Partner*innen das einfach auch laufen lassen. Es ist vielleicht im ersten Jahr hart, aber es entwickeln sich Strategien. [Bei mir] waren es Strategien, von denen ich vorher gar nicht gewusst habe, dass es sie gibt. Und meine Kinder waren so happy. Ich weiß noch, dass meine Mama anrief und die Kinder einzeln interviewt hat – erst meine Tochter, dann meinen Sohn. “Wie findest du es, dass die Mama jetzt den ganzen Tag arbeitet?” – Meine Tochter sagte: “Toll! Sie kommt immer so gut gelaunt nach Hause.” Ich war wirklich immer happy nach der Arbeit! Und mein Sohn sagte: “Cool, weil jetzt kann ich endlich mal selber kochen!” Der war glaube ich nicht einmal 10. […] Und genau das sind die Strategien. Es kommt von allein. Nicht das WIE ist entscheidend bei der Planung, sondern das Ziel – WAS will ich? […] Es gibt das retikuläre Aktivierungssystem im Gehirn, das sich mit dem Filtern der Informationen beschäftigt. Wenn ich das Ziel vor Augen habe, dann wird mir das Gehirnzentrum die Möglichkeiten liefern, weil der Filter auf das Erreichen des Zieles programmiert worden ist. Es filtert alles, was jetzt wichtig ist, um das Ziel zu erreichen. Genau das mache ich auch mit meinen Kund*innen, das retikuläre Aktivierungssystem zu programmieren, den richtigen Filter zu setzen. Dann kommt alles von allein – es sei denn, das Ziel ist nicht attraktiv genug. Dann muss man nochmal gucken und das Ziel anpassen.

Es kommt also auf das Framing an. Und das Mindset – worauf richte ich das? Auf alles, was ich noch nicht habe, auf alles, was nicht klappt oder schaue ich genau da hin, wo ich hin möchte. Eine Kleinigkeit, aber genau das verändert sehr viel. Wenn ich beruflich unzufrieden bin, lohnt es sich, das Problem genau anzuschauen: Ist das mein Arbeitsumfeld, meine Tätigkeitsfelder, mein Arbeitspensum?

Das ergibt sich oftmals aus dem Kennenlerngespräch. Die Kund*innen wissen meist schon, warum sie unzufrieden sind. Allerdings ist es manchmal tatsächlich auch undurchschaubar, denn manchmal gibt es mehrere “Baustellen.” Viele Kund*innen versuchen verzweifelt, an allen Baustellen gleichzeitig zu arbeiten. Es gibt eine Übung, bei der wir genau herausfinden können, in welchem Bereich es energiezehrende Mechanismen und in welchen Bereichen es Energiequellen gibt. Dann gucken wir, an welchem Rädchen kann ich denn in diesem Bereich schrauben? An welcher einen Stellschraube kann ich schrauben, wo sich andere Bereiche bzw. Baustellen dann erledigen? Oft ist es – nein, eigentlich ist es immer ein einziger Bereich, eine einzige Baustelle. Und wenn man die eliminiert, sich auf die konzentriert und in den Fokus nimmt, dann lösen sich die anderen Baustellen auf. Da muss man ganz intensiv mit der/dem Kund*in durch Gesprächstechniken und durch Übungen investigieren. Denn manchmal ist es für mich nicht sofort sichtbar – und für die/den Kund*in schon gar nicht. Aber es lohnt sich auf jeden Fall. Es kostet so viel weniger Energie, an einer Baustelle zu arbeiten und sie zu eliminieren als gleichzeitig an vielen. 

Das kennt man ja auch aus anderen Bereichen – Multitasking führt nicht unbedingt zum Ziel. Würdest du sagen, dass das Arbeiten an der “Baustelle” auch dazu führt, dass jemand herausfindet, was er oder sie wirklich möchte? Quasi die Berufung finden?

Bei der Lösung des Problems geht man natürlich auf die Suche. Was würdest du tun, wenn alles möglich wäre? Wenn Zeit und Geld kein Thema wäre? Denn es sind meistens Zeit und Geld. Zum Beispiel bei den Müttern – es ist die Zeit: Ich muss ja für die Familie da sein, für die Kinder. Oder es ist das Geld: Ich muss ja Geld verdienen, deswegen bin ich ja hier in diesem Job. Wenn das jetzt kein Thema wäre, was ist dann alles möglich? Und da haben viele Kund*innen erstmal ein Problem, einfach loszulassen und alles zuzulassen. Oft kommt dann: “Das ist eine blöde Idee!” – Nein, es gibt keine blöden Ideen, erstmal alles sammeln und dann passieren schon wunderbare Dinge. 

Viele sind dabei bestimmt auch zu realistisch: Ach nee, das geht doch gar nicht! Und ich kann doch jetzt mit meinem Hintergrund nicht komplett die Branche wechseln … oder ich bin doch zu alt dafür! Jetzt noch einmal neu anfangen – das geht doch gar nicht! Kannst du Übungen oder Tools empfehlen für jemanden, der vielleicht in der Gedankenspirale festhängt: „Mein Job erfüllt mich nicht, aber ich weiß auch keine Alternative“?

Da gibt es viele tolle Übungen, da fallen mir einige ein. Eine kleine Übung, die man auch selber ohne Außenreflexion machen kann, ist, dass du dir vorstellst, du wachst morgens auf und du weißt, dass gestern etwas passiert ist: Eine Fee ist gekommen und hat mit dem Zauberstab gewedelt und dabei gesagt: „Jetzt hab ich deinen Traum erfüllt!“ Du wachst auf und weißt genau: Jetzt ist mein Traum in Erfüllung gegangen! Wie fühlst du dich? Was siehst du? Was machst du? Wie ist dein Alltag? Wen siehst du? Mit wem sprichst du? Was riechst du? Einfach in diese Vorstellung zu gehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich das anfühlen würde. Und aus dem Gefühl kann man tatsächlich sehr viel Motivation gewinnen, an diesem Ziel zu arbeiten. Boah, das fühlt sich so toll an! Ich kann einfach mal meinen Kaffee genießen und ein bisschen länger frühstücken, weil ich den Arbeitstag selber durchgestalten kann. Und schon kommt das Gefühl – wow! Die konkrete Idee wird zugelassen, denn es ist ja alles möglich. Die konkrete Idee, die ich mir vielleicht schon immer gewünscht, aber nicht erlaubt habe zu tun. Gemeinsam schauen wir [in den Coachings], wie wir das vielleicht in Erfüllung bringen können. Vielleicht gibt es Kompromisse? Vielleicht können wir es kombinieren mit einem Job, der Geld bringt, weil dieser Traum evtl. noch nicht ganz lukrativ ist? Das ist eine ganz schöne Übung. Aber es fließen auch manchmal ganz schön die Tränen, wenn die Kund*innen erstmal in diese Übung kommen, weil das Gefühl der beruflichen Erfüllung so schön ist. 

Ganz zu Anfang sind wir schon einmal auf diesen Begriff bzw. das Dilemma um die Work-Life-Balance eingegangen. Hast du dafür eine Alternative oder wie würdest du das eher beschreiben?

Ich sage ganz klar – es ist Life-Balance. Es kann nicht Work-Life-Balance sein. Denn das ist doch absurd. Wer hat überhaupt die Idee gehabt, das so zu nennen? Warum hat die ganze Welt das so übernommen? Das klingt doch furchtbar. Es ist ganz klar – Life-Balance. Das Leben besteht aus so vielen unterschiedlichen Bereichen und es wäre doch schön, einfach ein Lebenswerk zu kreieren. Man hat die eigene Familie – oder auch nicht. Man hat die Hobbys, man hat die persönliche Entwicklung. Ob es die Arbeit ist oder was ganz anderes. Ich kann mich ja trotzdem, auch wenn ich vielleicht Coach bin, für Design interessieren und mich da ausleben. Das alles gehört zum Leben und es sollte ein Lebenswerk sein. Es muss einfach am Ende etwas sein, wo du sagst: “Das hat sich alles gelohnt, ich war ein wichtiger Beitrag dieser Welt. Das fühlt sich alles gut und richtig an.” Und wenn wir das auch den Kindern vorleben, dann haben wir doch sehr viel gewonnen. 

Denn so impliziert der Begriff Work Life Balance ja auch – Arbeit ist etwas Schweres und dafür brauchen wir einen Ausgleich. Und Arbeit gehört eigentlich gar nicht zum Leben dazu. Da ist also gleich schon eine Wertung mit drin. 

Ja, und der Begriff stammt aus einer ganz anderen Generation, bei denen das Wichtigste natürlich die Sicherheit war. Jeden Tag zur Arbeit gehen, malochen und Geld verdienen. Jetzt ist die Qualität wichtig – die Qualität meines Lebens und da ist die Arbeit mit eingeschlossen. Das hatten die Generationen vor uns so nicht auf dem Schirm gehabt. 

New Work, agile Arbeitsmodelle, wie beurteilst du die neuesten Entwicklungen am Arbeitsmarkt? 

Viele verwechseln das. „Du kannst ja schon von Zuhause aus arbeiten!“ – Aber das ist nicht New Work! „Du hast doch schon deinen Hund im Büro – das ist doch schon New Work!“ – New Work ist aber viel mehr als das. 

New Work muss zuerst einmal verstanden werden, was es heißt, einfach beruflich alles geben zu wollen, in deiner Exzellenz zu arbeiten. In der Exzellenz, die dir Energie gibt und nicht Energie aussaugt. 

– Dr. Nelly Simonov

Denn es gibt tatsächlich Arbeit, die dir Energie gibt. (…) New Work ist, dass man in seiner Exzellenz arbeitet. Und daraus entstehen vielleicht ganz neue Dinge: Dass man große Fabriken abschafft, dass man eher kleine Modelle etabliert, die regional agieren. Dass man sein Wissen von Generation zu Generation weitergibt. Dass das Personalwesen nachhaltiger wird. Dass man Strukturen gemeinsam für etwas Neues erarbeitet, was evtl. weniger möglich ist bei großen Unternehmen, die sehr schnell agieren. New Work heißt nicht schnell und agil. Agilität wird dabei auch oft falsch verstanden. New Work ist eine Philosophie, ein Lifestyle. Ich glaube auch, dass man das erst durch viele Workshops in die Köpfe der Menschen reinbringen kann. New Work, das muss man wollen und das muss man gespürt haben – wie fühlt sich das an, ein sinnstiftender Job, für den man brennt? Das ist entscheidend. 

Vielen Dank, liebe Nelly, für das schöne Interview, deine deinen tollen und inspirierenden Antworten! Und viel Erfolg für alles, was du machst.

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Berufliche Veränderung und (Karriere-)Coaching – habt ihr Erfahrungen damit in eurem beruflichen Kontext gemacht? Wie seid ihr damit umgegangen? Was hat euch dabei geholfen? Verratet es uns gerne in den Kommentaren oder auf Instagram.

© Photo by Dr. Nelly Simonov. Thank you!