Das schaff ich schon allein.
Warum es allein schaffen zu wollen sowohl eine Stärke als auch eine Schwäche sein kann und wie du diesen inneren Antreiber ganz sanft hinterfragen kannst, erfährst du in diesem Artikel.
Warum es allein schaffen zu wollen sowohl eine Stärke als auch eine Schwäche sein kann und wie du diesen inneren Antreiber ganz sanft hinterfragen kannst, erfährst du in diesem Artikel.
Ich habe einen sehr starken Drang nach Unabhängigkeit und Freiheit. Ich liebe es, Dinge einfach anzupacken, nicht um Erlaubnis zu fragen, sondern erst einmal zu machen. Mich lange erklären oder jemanden mitziehen zu müssen mag ich gar nicht – ich brauche und möchte meine ganze Energie für mich und den (neuen) Plan. Und das finde ich ganz wundervoll. Ich liebe Abenteuer, ich will Neues entdecken und ich weiß, dass ich das allein kann. Und dass alles irgendwie funktioniert, wenn ich nur will.
Also stapfe ich pfeifend und stur allein los, Richtung Erleben. Und manchmal ist das genau das, was ich brauche. Aber manchmal laufe und laufe ich gegen die immer gleiche Wand, gehe zig Umwege, probiere und mache bis ich total erschöpft und ausgebrannt bin. Und dann meldet sich die kleine Stimme aus meinem Unterbewusstsein und fragt zaghaft: „Vielleicht kann ja jemand helfen?“
Versteh mich nicht falsch – ich arbeite unglaublich gern im Team. Ich mag es, mit Menschen gemeinsam in eine Richtung zu laufen. Ich mag es, dass jede Person ihre ganz eigenen Stärken einbringen kann und ich mag es, gemeinsam Erfolge zu feiern. Teamwork ist nämlich gar kein Gegensatz zu einem “Ich mach das selbst”. Nee nee nee. Personen mit dieser Art von Antreiber können ganz wunderbar im Team funktionieren und sind meistens die treibende Kraft: die Person, die das Projekt leitet, den Ausflug plant oder sich um die Orga kümmert. Für die Gruppendynamik kann das also auch absolute Vorteile haben, denn die Person hat am liebsten die Kontrolle über den kompletten Haufen. Und solange die Kompetenzen jeder weiteren Person klar abgetrennt sind, kann das sehr gut laufen.
Wenn aber alle ähnliche Kompetenzen aufweisen, wird es schon schwieriger. Als Beispiel fällt mir direkt ein ehemaliger Job in einer Werbeagentur ein. In einem der Teammeetings saßen einmal die Woche nur die Projektmanager*innen zusammen. Ich erinnere mich an ein Meeting, in dem wir alle wie immer unseren Projektstatus nacheinander vortrugen. Es schien, als wäre es eine Woche, in der wir alle gut ausgelastet, aber nicht überlastet waren. Alle bis auf eine von uns. Ihr Statusdokument war so voll wie die von uns allen zusammen. Sie schien ausnahmslos große oder schwierige Projekte zu betreuen, und davon viel zu viele. Und auch wenn wir uns nach einem pünktlichen Feierabend gesehnt hätten, baten wir alle unsere Unterstützung an. Die Kollegin lehnte ab. Mit Tränen der Erschöpfung in den Augen. “Nein, ich kriege das schon hin.”
Der Kollegin ging es damals sehr ähnlich wie mir. Eigentlich dachte ich immer, alles allein schaffen wäre eine absolute Superpower. Nach Hilfe fragen würde bedeuten, es nicht zu können. Wer es nicht allein hinbekommt, ist schwach. Aber dieses Denken ist ein absoluter Teufelskreis: Ich bin nur stark, wenn ich es allein schaffe. Ich glaube daran, dass ich es allein kann. Wenn es nicht allein klappt, bin ich schwach. Und ich höre auf an mich zu glauben…Das könnte ganz leicht in eine Positivspirale umgewandelt werden: Ich glaube an mich, ich versuche es. Ich komme nicht weiter, ich finde Unterstützung. Die Unterstützung macht es mir leicht, ich komme deutlich schneller voran, ich kann noch so viel mehr!
Falls du bis hier hin gelesen hast, kennst du diese Herausforderung vielleicht. Falls du immer wieder Sätze sagst, wie:
Lass dir zuerst einmal sagen: Daran ist gar nichts falsch. Nichts verwerflich. Du bist toll, so wie du bist und wie du das alles machst! Ehrlich. Wenn dich das allerdings auch immer öfter an deine Grenzen bringt, achte gut auf dich und hör in dich hinein. Warum möchtest du es allein machen? Was bringt dir das – und was würdest du Positives bekommen, wenn du Unterstützung hättest?
Es ist toll, es allein zu versuchen. Aber weißt du, was auch toll ist? Es ganz bewusst nicht allein zu versuchen. Einen Teil des Abenteuers zusammen zu bestreiten. Sich gegenseitig zu bestärken und bereichern. Neues zu lernen, Abkürzungen zu nehmen, oder am anderen Ende des Raumes endlich die Tür zu sehen, anstatt weiter mit dem Kopf gegen die Wand zu hämmern.
Vielleicht hast du Lust und hinterfragst diese Sätze, innerlich oder laut, sobald sie auftauchen…
Wie meine Kollegin damals wollte auch ich bloß niemandem zur Last fallen. Andere sollten bloß keinen Aufwand für mich betreiben, sich bloß nicht extra für mich anstrengen. Ich hingegen wollte immer gern helfen, war immer da, wenn mich jemand brauchte (lange auch über meine eigenen Grenzen hinweg, aber das ist eine andere Geschichte).
Für andere da zu sein, andere zu unterstützen und zu helfen mag ich immer noch sehr. Ich mag es sehr, andere dadurch aufblühen zu sehen und gemeinsam etwas zu wuppen. Es gibt mir ein gutes Gefühl, gebraucht zu werden. Ich habe demnach selbst etwas davon, wenn ich helfe. Das heißt also im Umkehrschluss wahrscheinlich auch, dass ich den Menschen in meiner Umgebung ein gutes Gefühl geben kann, wenn sie mich unterstützen. Dass ich vielleicht gar keine Last bin, niemals eine Last war, sondern andere fast nur darauf warten, mir etwas Gutes zu tun. Dass wir uns mit jedem „Kannst du mir helfen?“ also gegenseitig gut tun. Wahrscheinlich geht es den Menschen in deiner Nähe ähnlich.
Lass uns öfter mal helfen und vor allem helfen lassen. Du kannst es allein, ganz sicher sogar. Aber du musst nicht.
Was sagt ihr? Wollt ihr am liebsten alles allein machen? Seht ihr das als Stärke oder eher als Schwäche? Wir freuen uns auf den Austausch in den Kommentaren oder auf Instagram.
©Photo by Brooke Cagle on Unsplash. Thank you!